Die Wissensstadt Davos in Zukunft
Welche Lebenszyklen liessen sich verlängern oder erneuern? Welche neigen sich dem Ende zu? Dies sind die zentralen Fragen für die Zukunft von Davos. Aus der Perspektive der Regionalentwicklung gibt es basierend auf den bestehenden Kompetenzen auch verschiedene wirtschaftliche Stossrichtungen. Zwei davon bauen explizit auf den Kompetenzen des Forschungs- und Bildungsplatzes Davos auf.
Alpine Gesundheitsdestination oder wenn Davos vom Krankheits- zum Gesundheitsplatz wird
Im Gesundheits- und Tourismusbereich bestehen in Davos zwei Cluster: Erstens das Gesundheits-Cluster. Es hatte seine Blütezeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts und erfuhr seither einen schleichenden Niedergang, was auch zum Kliniksterben geführt hat.
Auch das zweite Cluster, der Tourismus, hat seine grosse Wachstumsphase hinter sich. Es ist deshalb entscheidend, durch permanente Anpassung an bestehende Tourismustrends und durch touristische Innovationen wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Frage ist nun, ob mit den vorhandenen Kompetenzen Gesundheit, Tourismus, Forschung und Kongresswesen eine neue Kompetenz für Davos erschlossen werden kann?
Ein möglicher Weg dieser Kompetenzverschmelzung in Davos könnte der Megatrend Gesundheitstourismus sein, dem in den nächsten Jahrzehnten ein enormes Potenzial zugesprochen wird. Obwohl zurzeit das Thema Gesundheitstourismus überall erwähnt wird, stellt sich die Frage, was denn darunter überhaupt zu verstehen ist. Die theoretische Definition liefert der Fachmann Kai-Thorsten Illing. Er versteht unter Gesundheitstourismus jene Reiseform, «[…] in der der Reisende aus eigener Entscheidung für einen oder mehrere Tage seine gewohnte Umgebung verlässt, um einen wesentlichen Teil der Zeit damit zu verbringen, in nicht-klinischer Umgebung seinen Körper zu pflegen. […] Die Komponenten Erlebnis, Freizeitqualität, Geniessen sowie das Teilhaben an `trendigen` Aktivitäten gehören ebenso dazu wie die Abgrenzung zum Leidensdruck des Kranken.» ( Berg, 2008, Gesundheitstourismus und Wellnesstourismus, Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München.)
Im Gesundheitstourismus existieren insgesamt sechs verschiedene Angebotssparten, die sich in zwei zentrale Gruppen unterscheiden lassen: Die indikationsbezogenen Angebote, also die Linderung und Heilung basierend auf einer Diagnose, sowie die indikationsunabhängigen Angebote, das heisst Prävention ohne Diagnose. Bei den indikationsbezogenen Angebote, also der Linderung und Heilung basierend auf einer Diagnose, hat Davos eine lange Tradition. Sei es als Tuberkulose-Kurort oder in der Behandlung von Hautkrankheiten oder Beinbrüchen. Neu hingegen sind die indikationsunabhängigen Angebote, das heisst Prävention ohne Diagnose. Dazu zählen beispielsweise die Krankheitsvermeidung durch eine gesunde Ernährung oder die Steigerung der Leistungsfähigkeit durch Höhentraining.
Aufgrund der historischen Entwicklung deckt Davos gegenwärtig sämtliche Angebotssparten des Gesundheitstourismus ab. Damit birgt Davos bereits viel Potenzial in sich, das sich im Rahmen einer gesundheitstouristischen Strategieentwicklung weiter ausbauen und auch noch klarer Positionieren lässt. Hier bieten sich vor allem die nicht-indikationsorientierten Angebotssparten Primärprävention und Leistungssteigerung an, die gut mit dem vorhandenen touristischen Sportangebot kombiniert werden könnten.
Aber auch eine Neukonzeption des indikationsorientierten Angebotes der bestehenden (Höhen-)Kliniken ist denkbar. Davos könnte sich daher zukünftig in unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitstourismus als innovative Tourismusdestination positionieren. Als eine erste Möglichkeit bietet sich das Thema Allergien an. Hier hat Davos nicht nur aus der ursprünglichen Bedeutung als Höhenkurort bereits einen Standortvorteil, sondern verfügt auch auf wissenschaftlicher Ebene mit den vorhandenen Institutionen im Bereich Allergie- und Asthmaforschung über das benötigte fachliche Know-how.
Wissens- und Technologietransfer oder wenn Forschung wirtschaftlich wird
Die sechs in Davos ansässigen Forschungsinstitute bilden ein wichtiges Fundament für die regionale Wirtschaft. Sie tragen dank ihrer internationalen Forschungsexzellenz nicht nur den Namen Davos in die Welt hinaus, sondern sorgen mit den meist in Davos durchgeführten Kongressen und Veranstaltungen auch direkt für touristische Wertschöpfung. Zudem wirken sie aktiv dem sogenannten „Brain Drain“ – dem Wegzug von gut ausgebildeten, hochqualifizierten Mitarbeitern – entgegen.
Ein Aspekt wurde bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Relevanz der Forschungsinstitute jedoch oft ausser Acht gelassen: Zusätzlich zu ihrer bereits heute grossen Bedeutung für die Region können die Forschungsinstitute in Zukunft einen noch grösseren Einfluss auf die regionale Wettbewerbsfähigkeit ausüben. Die Rede ist dabei von den stets erwähnten Standortvorteilen für eine Clusterbildung. Die ansässigen Institute und Organisationen dienen nämlich auch als Türöffner für national und international tätige Organisationen und Firmen, die sich in der Schweiz, im Kanton Graubünden oder in der Region Davos ansiedeln möchten. Es sind Firmen, die eine hohe Forschungs- und Entwicklungsintensität aufweisen. Sie könnten für die Region interessant sein, genauso ist aber auch die Region für sie interessant. Deshalb kommt der Wissensstadt Davos in Zukunft eine bedeutende Aufgabe für die Positionierung von Davos zu. Dabei sollen die aktuellen weltweiten Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit und Umwelt angenommen und neue Wege aufgezeigt werden. Dies bedingt aber einen Schritt von der reinen Forschung hin zu Forschung und Entwicklung. Wenn es den Instituten der Wissensstadt Davos gelingt, den Wissens- und Technologietransfer von der Forschung in die Wirtschaft zu realisieren, stehen dem Standort Davos viele neue Möglichkeiten – oder, in Anlehnung an die regionalökonomischen Theorien, neue Lebenszyklen – bevor.
Quelle: Adrian Dinkelmann: Zukunftsperspektiven einer Alpenstadt, in: Franco Item (Hrsg.), 2014: Davos - zwischen Bergzauber und Zauberberg